Eine Ausstellung in der Staatsgalerie Prenzlauer Berg
vom 31.05.2014 bis 21.06.2014

 

Am Anfang stand ein Foto: Martin Frese, er gehört zu den Menschen, in deren Jugend die Fernsehnachrichten des Zweiten Golfkrieges und der jugoslawischen Bürgerkriege einbrachen, nahm sich im vorigen Jahr von seiner Arbeit einen Stapel Tageszeitungen mit. In der Nacht fiel sein Blick auf das Bild eines einzelnen Soldaten, in schwerer Montur mit der Waffe im Anschlag. Frese fragte sich, wie oft ein Westeuropäer durchschnittlichen Alters in den letzten Jahrzehnten Fotos wie dieses gesehen haben dürfte, ohne direkt bedroht zu werden. Seine Antwort konnte keine numerische sein, er wusste nur: sehr oft. Das Bild begann, in Frese zu arbeiten.

Er fertigte sich einen Stempel nach der Vorlage an und begann, mit der Silhouette zu experimentieren. Mal ließ er den Soldaten nach links zielen, mal nach rechts; und schon schien sich die Stoßrichtung zu ändern: Griff er an oder wehrte er ab? Frese umgab den zum Emblem gewordenen Kämpfer mit Farbflächen, akzentuierte ihn oder ließ ihn fast gänzlich verschwinden, bis er nur noch ein Schatten war. Er begann mit einem kleinen Format und arbeitete sich weiter zu einem ausladenden, grau-schwarzweißem Schlachtenpanorama, in dem die Figur in einer scheinbaren Endlosschleife präsentiert wird, einem Loop der Militanz.

„Psychedelic War“, der Titel von Freses Ausstellung, verweist auf zweierlei: Da wäre die fast schon entgrenzte Atmosphäre einiger seiner Arbeiten. Eines der Bilder ist geeignet, einen bitterbösen Zusammenhang herzustellen. Der Soldat erscheint auf einem Farbmuster, das nicht von ungefähr an eine Tarnuniform erinnert; Camouflage als der bedrohliche Bruder des in den bunten Sechzigern neu in Mode gekommenen Paisley-Musters. Ein Jahrzehnt, zu dem die Drogen gehörten. Doch taten sie es bereits vorher: Die Feldzüge der deutschen Wehrmacht 1939 in Polen und 1940 in Frankreich waren ohne den massenhaften Konsum von Pervitin, einer Speed-Frühform, kaum möglich. Vor diesem Hintergrund hat Martin Freses nächtlicher Zufallsfund eine ganze Assoziationskette angestoßen. Als Kausalitätskette ist sie so verstörend wie vom Künstler gewollt.

Robert Mießner

Eine Ausstellung in der Staatsgalerie Prenzlauer Berg
vom 26.04.2014 bis 24.05.2014

Vernissage: 26.04.2014, 19:00 Uhr

Dass Jutta Scheiner ausgebildete Elfenbeinschnitzerin ist, mag als biographisches Detail für die Rezeption ihrer farbreichen Bildwelten nicht zwingend notwendig sein; darf jedoch als Fingerzeig dienen. Für ihre von 2011 bis 2014 entstandenen Bilder greift Scheiner zu wesentlich profaneren Materialien. So ist beispielsweise die „Sammlerin“ eine Assemblage aus Acryl, Knöpfen, einer Decke und Styropor: Den spröde konnotierten Werkstoff verwendete die Künstlerin des öfteren. Worin liegt seine Faszination? Scheiner sagt, sie möchte die Wegwerfware Styropor aufwerten. Doch hebt sie diese nicht durch Veredelung auf den Sockel, Scheiner schafft aus ihr einen Sockel, um den Bildkörper zu erweitern. Eines dieser Bilder zeigt ein Memento: zwei skelettierte Liebende in zeitloser Umarmung.

Es wäre dabei ein Kurzschluss, Scheiner als Malerin des Unheimlichen zu bezeichnen, ungeachtet dessen, daß Ihre Bilder wie unter Mondlicht gemalt scheinen. Eher ist sie dem Unwirklichen auf der Spur, das existiert. Nicht wenige ihrer Bilder muten wie collagierte Ikonen an. Andere erinnern an frühneuzeitliche Porträts, denen die Künstlerin einen doppelten Boden verpasst hat: Die Insignien eines Medaillons im Format von 70 x 120 cm mit dem Titel „Erbschaft“ sind Pelz, Halskrause und Spitzenhaube; doch richtet deren teilnahmslos dreinschauende Trägerin eine überdimensionierte Vorderladerpistole gegen sich selbst. Ohne Arme geht das nicht, doch diese sind Prothesen.

Scheiner hat Anfang dieses Jahres an der Gruppenausstellung „Die betroffene Urmutter schreit wie ein waidwunder Ziegelstein“ in der Staatsgalerie teilgenommen. Aus populärwissenschaftlichen Magazinen entstanden Cadavre Exquise, Collagen methodischen Zufalls. Ihre neueren Arbeiten basieren wiederum auf einem anderen Basismaterial: Sie malt auf alten Schnittmusterbögen vegetative Figuren. „Verpflanzlichung“ sagt sie dazu. Auch diese Bilder kommen daher wie ein spielerischer Zeitvertreib aus Kindertagen; sie ähneln dem Blick in ein florales Kaleidoskop. Die organische Struktur des Pflanzenwuchses korrespondiert mit der mechanischen der Nähvorlagen. Was sich entspinnt, verwebt Jutta Scheiner zu einer verästelten Sinnlichkeit.
Robert Mießner

-> jutta-scheiner.de/malerei